Ami und die Symmetrische lupoide Onychodystrophie
Dies ist die Geschichte von Ami, einer liebenswerten Rhodesian Ridgeback Hündin, die dieses Jahr sehr viel Leid ertragen musste. Obwohl wir zeitweise gegen Windmühlen ankämpften, nahm die Geschichte ein gutes Ende.
Die 8 jährige Hündin wurde uns im Februar vorgestellt, da sie ihre Füsse ständig leckte. Bei genauem Untersuchen aller Pfoten, bemerkten wir, dass sich eine Kralle hinten bereits am Ablösen war. Ami musste in Narkose gelegt werden, damit die Krallentüte schmerzfrei abgezogen werden konnte. Wir stellten jedoch fest, dass an fast allen Krallen das Nagelbett vereitert war und sich die Krallen am Ansatz aufzulösen begannen. Wir entschieden sofort, dass die schmerzenden, lockeren Krallen alle abgezogen werden müssen und wir amputierten ein gesamtes Krallenbein (Kralle samt letztem Knöchelchen), um es ins Labor zu schicken.
Als Ami mit vier Verbänden und 15 Krallen weniger erwachte, nahm sie dies sehr tapfer hin und lief vorsichtig mit ihren wettergeschützen Verbänden raschelnd aus der Praxis. Das Blutbild und auch die Schilddrüsenhormone waren unauffällig, auch eine Allergie kam nicht in Frage, da Ami sonst keinerlei Hautbeschwerden zeigte. Nach kurzem Nachforschen stiessen wir auf eine Krankheit namens SLO, eine autoimmune Erkrankung, die vorwiegend beim Rhodesian Ridgeback aber auch bei anderen Rassen auftritt. Der Körper wendet sich gegen die Stammzellen des Nagelbettes, wobei es an allen Zehen zu einer Ablösung des Krallengewebes von der Nagelbetthaut kommt. Wir waren alle der Meinung, dass es sich um diese Erkrankung handeln musste und warteten gespannt auf den Histologiebericht des Labors. Derweil führten wir täglich einen Verbandswechsel in Narkose durch, da es im wachen Zustand für Ami einfach zu schmerzhaft war. Das Ziel in den nächsten Tagen musste sein, die lebenden Nagelstümpfe abtrocknen zu lassen und die entzündeten Nagelbette zur Abheilung zu bringen. Mit Antibiotika, Schmerzmittel und Omega 3 und 6 Fettsäuren, sowie Vitamin B3 und Biotin für ein gesundes Krallenwachstum versuchten wir die Entzündung der Nagelbette zu bekämpfen.
Fast jeden dritten Tag wechselten wir im März die Verbände, Ami liess zwar den Kopf hängen aber obwohl wir uns so sicher waren, dass es sich um die SLO handeln musste, war das Labor nicht davon überzeugt, das Zellbild präsentierte sich anders als erwartet. Wir telefonierten mit der Tierärztin des Labors und sie versprach uns sogar, die Proben der Zehe nach Bern zu schicken. Auch die Befunde von der Professorin an der Universität waren nicht ganz passend für eine «normale» SLO, sie sprach von einer interessanten Sonderform, jedoch war auch sie der Meinung, dass Amis Immunsystem die Nägel angegriffen haben musste. Solch eine Immunreaktion kann auch durch eine Zeckenkrankheit ausgelöst werden, darum testeten wir auf alle Erreger, die von Zecken übertragen werden können. Auch diese Untersuchung zeigte keine deutlichen Ergebnisse und da Ami nie Fieber hatte, konnten wir eine solche «Vektorenkrankheit» ausschliessen.
Zu Amis Pech gesellte sich noch ein nettes Bakterium dazu, das sich mit dem Namen Pseudomonas aeruginosa schmückte. Dieses schien sich über unser starkes Antibiotikum zu amüsieren und liess die Nagelbette weiter eitern. Mit Hilfe eines zusätzlichen Antibiotikums bekamen wir die Entzündung in den Griff. Ami lief derweil mit süssen Babysocken in allen Farben umher, je bunter, desto besser fand die Besitzerin und kaufte eine grosse Auswahl an hübschen Exemplaren. Ami hüpfte schon wieder durch Bäche und lies sich zeitweise nichts von ihrem Leid anmerken. Die Geduld der Besitzerin beim täglichen Wechseln der Söckchen war dabei unglaublich. Ich war fest überzeugt, gesund neue Nägel würden eines Tages nachwachsen, da beschrieben war, dass dies mit Omega 3 und 6 Fettsäuren möglich war, ohne eine lebenslange Antibiotikatherapie. Solange kein Pathologe von einer SLO sprach, verzichteten wir noch auf eine Cortisontherapie.
Wir erfuhren aber einen Rückschlag. Sobald es eine Woche gut aussah, waren in der nächsten Woche wieder feuchte Stellen am Nagelstumpf mit wildem Fleisch sichtbar. Langsam schwand unsere Zuversicht, dass die Krallenstümpfe wie in so manchem Fallbericht einfach nach vier Wochen abtrocknen und sich neue Krallen bilden.
Schlussendlich fragten wir eine weitere Spezialistin auf dem Gebiet der klinischen Dermatologie um ihren Rat und wir schickten ihr Bilder der Pfoten, innerhalb eines Tages hatten wir eine Antwort erhalten. Anhand der Bilder war es für sie eindeutig eine Systemische Lupoide Onychodystrophie, auch wenn Zellbild für die Laboranten nicht vollständig passte, da die Krankheit am Ende durch die typischen klinischen (sichtbaren) Anzeichen diagnostiziert wird. Die Rasse ist sehr prädisponiert für diese Erkrankung aber die Therapie gestaltet sich individuell.
Der Fall Ami schien ein besonders schwerwiegend zu sein. Für sie schien eine sofortige Therapie mit Cortison oder Cyclosporin unumgänglich, um das Immunsystem daran zu hindern, die neuen Nägel auch sofort wieder aufzulösen. Ob das Cortison jemals abgesetzt werden kann, müsste je nach Verlauf beurteilt werden. Momentan mit der wiederkehrenden bakteriellen Infektion würde das Cortison aber den Heilungsverlauf deutlich verlangsamen und die Schmerzen der Hündin in die Länge ziehen. Ausserdem verlieren die Hunde bei einer SLO schubweise immer wieder die Krallen, wenn die Therapie nicht perfekt angepasst ist. Somit sahen wir uns in einer ethischen Zwickmühle. Wir diskutierten zusammen mit der Besitzerin die beiden verbleibenden Varianten, entweder wir würden eine aggressive, immunhemmende Therapie mit Cortison starten, oder wir amputieren alle Krallenbeine, womit das Krallenbett und die angegriffenen Stammzellen entfernt würden. Die Besitzerin war einverstanden mit unserem Chirurgen Dr. Borosak und dieser entfernte Mitte März an den ersten zwei Pfoten (eine hinten, eine vorne) alle Krallenbeine. Wir hatten etwas mit Amis schlechter Wundheilung und ihrem Hang zur selbständigen Zehenpflege zu kämpfen aber nach 20 Tagen hatte sich auch die letzte feuchte Stelle geschlossen. Nachdem die Zehenspitzen abgeheilt waren, amputierte er die Krallenbeine der anderen zwei Pfoten Mitte Mai. Anfang Juni zeigte sie noch eine kleine Lahmheit vorne rechts aber Dr. Borosak stellte mit Freude fest, dass die Haut nun an allen Zehen intakt war.
Diese Geschichte war für uns alle lehrreich, da die SLO eine seltene Krankheit ist und es keine Therapie „aus dem Büechli“ gibt, jeder Hund muss individuell behandelt werden. Ein genetischer Defekt ist sehr wahrscheinlich, aber auch Umweltfaktoren wie Trauma oder Erkrankungen als Auslöser der SLO werden vermutet. Ami hat nicht nur unser, sondern auch das Wissen und die Erfahrung mehrerer Experten auf die Probe gestellt. Sie wies definitiv eine bisher unbekannte Form einer akuten immunbedingten Nagelfehlbildung auf. Trotz aller guten Ratschläge von betroffenen Besitzern, Dermatologen und von Studien konnten Amis Nagelbette ohne Antibiotika nie abheilen. Somit haben wir uns zwar für eine radikale, aber auch endgültige Lösung entschieden, die der Lebensqualität von Ami zugutekommt.
Prof.Dr.Leeb forscht an der Universität Bern an den genetischen Ursachen von rassebedingten Krankheiten. Um endlich dem Gendefekt (oder mehreren Defekten) auf die Schliche zu kommen, benötigt er Blutproben von betroffenen Hunden.
Wir haben ihm eine Blutprobe zukommen lassen und hoffen, dass ein Vorstoss gelingt in den nächsten Jahren, damit man mittels Gentests betroffene Hunde frühzeitig (vor Ausbruch der Krankheit) aus der Zucht ausschliessen kann. Dieses unnötige Leiden von unseren vierbeinigen Freunden könnte somit im besten Fall verhindert werden.
Liebe Ami, du bist einer der tapfersten Hunde, die ich kenne. Ich danke dir für deine Geduld und deinen Lebensmut. Ich hoffe, dass du uns trotz allem noch ein bisschen liebhast und weiterhin so treu und liebenswürdig zu uns in die Praxis kommst.
Einen besonderen Dank geht an das Diavet Team, das uns immer geduldig am Telefon berät. Herzlichen Dank auch an Dr. Monika Welle für ihre Expertise, dies ist nicht selbstverständlich. Wir danken DiploVet für ihre raschen und verständlichen Einschätzungen und Ratschläge. Der grösste Dank geht an Herr und Frau Zumkehr, die geduldig fast täglich zum Verbandwechsel kamen und mit Ami den langen Weg bis zum Erfolg gegangen sind. Nur mit viel Geduld und gemeinsamen Entscheidungen konnten wir Ami am Ende ein schmerzfreies Leben ermöglichen.